Die Texte der Aachener Enzyklopädie zur hydrostatischen Waage und zum Metallguss

Die hydrostatische Waage

Die ab 809 am Aachener Hof Karls des Großen entstandene, sieben Bücher umfassende Aachener Enzyklopädie beschäftigt sich vorwiegend mit Themen der Zeitrechnung und der Astronomie, enthält im sechsten Buch aber auch zwei Kapitel mit naturwissenschaftlichem bzw. technischem Inhalt. Sie beschreiben die Prüfung von Gold und Silber mit der wahrscheinlich von Archimedes erfundenen hydrostatischen Waage und die Bemessung der Metalle beim Metallguss. Besonders interessant sind die Ausführungen zur hydrostatischen Waage: „Wenn eine libra [Pfund] reinsten Goldes mit dem gleichen Gewicht ebenso reinen Silbers in der Waage unter Wasser getaucht wird, finden wir, dass das Gold um zwölf Denare [1 libra = 240 Denare], das heißt um seinen zwanzigsten Teil, schwerer als das Silber ist, oder das Silber leichter als das Gold.“

Die Überprüfung dieser Angabe ergibt eine recht gute Übereinstimmung mit den tatsächlichen Verhältnissen. Wir dürfen, da es sich um einen originär karolingischen Text handelt, deshalb annehmen, dass die Gelehrten am Aachener Hof, unter denen Paulus Diaconus, Alkuin von York und Einhard herausragen, mit der hydrostatischen Waage experimentiert haben. Diese Ansätze naturwissenschaftlicher Forschung sind äußerst bemerkenswert und wurden bislang nicht angemessen gewürdigt! Auf dem Gebiet der hydrostatischen Waage ist der Wissensstand der Aachener Gelehrten lange Zeit nicht mehr erreicht worden; in Europa gelangte erst Galileo Galilei zu tieferen Einsichten als sie.

Stefan Wintermantel: Die Texte der Aachener Enzyklopädie zur hydrostatischen Waage und zum Metallguss – wissenschaftshistorische Bedeutung und Überlieferung, 2021, auf: Propylaeum-DOK (Fachrepositorium, bereitgestellt von der Universitätsbibliothek Heidelberg).
DOI: https://doi.org/10.11588/propylaeumdok.00005063